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die Bezeichnung der → Beziehung zwischen dem Praktiker als Wahrnehmender, genauer: als Beobachter, auf ein Objekt, meist in einer epistemischen Praxisart. Die Perspektive auf ein Objekt öffnet seine Dimensionen. Die Perspektive gestaltet eine besondere Subjekt-Objekt-Beziehungen in Praxissystemen.
Die Normierung des Programms der Herstellung und Nutzung perspektivischer Subjekt-Objektbeziehungen ist eine Leistung der europäischen Renaissance und Grundbedingung jeder empirischen Wissenschaft.
Ursprünglich ist der Begriff nur für die Praktik Wahrnehmen operationalisiert. Er wird in der Neuzeit auch auf spezifischen Arten der Praktik Denken übertragen. Die Objekte des Denkraumes werden dann relationiert und erhalten dadurch ebenfalls Dimensionen. Ohne die Angabe solcher Relationen und der Relata bleibt die Rede von der 'Perspektive' im Denkraum bloße Metapher.
Dimensionen und Perspektiven
Um das triadisch-praxeologische Verständnis von Dimension und Perspektive zu erklären, ist eine Kurzfassung erkenntnistheoretischer Annahmen des NTD erforderlich.
Sobald wir in ein Verstehen der Praxis einsteigen, werden die Phänomene des Wahrnehmungs- oder Handlungsraumes zu Objekten des Denkraumes. Es beginnt die Modellierung.
Die Wahrnehmungsbeziehung zwischen dem Subjekt und den Dingen seiner Umwelt wird als Perspektive bezeichnet.
Eine Epistemologie, die diese Beziehung prämiert wird Perspektivismus genannt. Ihre erste Formulierung wird von Philosophiehistorikern G. W. Leibniz und seinem Werk 'Monadologie '(1714) zugeschrieben.
Die triadische Epistemologie und das NTD berücksichtigen den perspektivischen Grundzug der menschlichen Aktivitäten, prämieren ihn aber nur fallweise.
Auf höchster Abstraktionsstufe meint Perspektive eine Relation zwischen den Relata einer Beziehung. Dabei wird die Richtung so festgelegt, daß Subjekte und Objekte als Relata entstehen. Um die Erkenntnispraxis befriedigend zu beschreiben sind Aussagen sowohl zur Perspektive als auch zu den Objekten und Subjekten, also zu allen drei Faktoren der Beziehungstriade, erforderlich.
Die standpunkt- und perspektivenabhängige Erkenntnis ist für die visuelle Wahrnehmung des Menschen evident. Perspektiven gibt es jedoch nicht nur im Wahrnehmen sondern ebenso im Denken und Handeln. Auch hier muß die Aufmerksamkeit auf Relata – mehr oder weniger -zielgerichtet sein. Die Menschen sind so eigerichtet, daß sie die Mannigfaltigkeit des Kosmos günstigenfalls nur stückweise erfassen können. Auch die Objekte des Denkens werden perspektivisch fokussiert, relationiert und modelliert. Sie erhalten dadurch Dimensionen. Im Prinzip ist es möglich, viele Perspektiven in der Praxis einzunehmen – und damit gibt es auch viele Dimensionen der Objekte. Es ist konstitutiv für die triadische Weltanschauung, die Vielzahl der Perspektive und Dimensionen in jeder konkreten Praxis am Ende auf drei zu reduzieren und zwischen ihnen zu wechseln, um so eine komplexe Vorstellung bzw. dreidimensionale Objekte zu erhalten.
Im Wahrnehmen und Handeln erfordert dies in der Regel einen Wechsel der räumlichen Standpunkte, im Denken wird in der Vorstellungswelt gewandert oder das Objekt virtuell "gedreht".
Wenn also von 'Dimensionen' der Praxis gesprochen wird, dann korrespondieren diesen – meghr oder weniger - bestimmten Perspektiven des Beschreibers – und idealerweise auch der Leser. Man hat grundsätzlich die Möglichkeit, die Perspektiven festzulegen und dadurch die Dimensionen zu präfigurieren oder man klärt die Dimensionen und legt damit bestimmte Perspektiven nahe. Genaue Entsprechungen gibt es bei einigermaßen komplexen Subjekten und/oder Objekten nicht.
Die Perspektive als Relation zwischen wahrnehmenden Subjekt und Objekt im Erkenntnisprozeß
Die Wahrnehmungsbeziehung zwischen dem Subjekt und den Dingen seiner Umwelt wird als Perspektive bezeichnet. Eine Epistemologie, die diese Beziehung prämiert wird Perspektivismus genannt. Ihre Formulierung wird von Philosophiehistorikern G. W. Leibniz und seinem Werk 'Monadologie '(1714) zugeschrieben.
Visuelle Linearperspektive
In der abendländischen Wissenschaftsgeschichte steht bei der Wahrnehmung der Dinge die visuelle Beobachtung und die Verarbeitung visueller Daten eindeutig im Vordergrund. Immer, wenn man Dinge als Körper auffassen kann, geht es darum, ihre Architektur zu erkennen. Sobald man von Körpern spricht, befindet man sich in Räumen. Und zwar befindet sich nicht nur das körperhafte Ding sondern genauso auch der Beobachter in einem Raum. Es gibt ein räumliches Verhältnis zwischen dem - ebenfalls körperhaft vorgestellten - Beobachter/Praktiker und den zu beschreibenden Dingen.
Die Frage drehte sich immer wieder darum, wieviele Ansichten eines Phänomens erforderlich sind, um es befriedigend zu beschreiben. Spätestens seit der Renaissance kommen die Forscher überein, daß Grundriß (Vogelperspektive) und mehrere Aufrisse nötig sind, um sichtbare Dinge und Räume so zu modellieren, daß sie intersubjektiv wiedererkannt und reproduziert werden können. Diese Einsicht wird nicht nur auf Gebäude (Architektur) und technische Instrumente sondern auch auf die natürlichen Phänomene angewendet.
Die Skizzenbücher Leonardo da Vincis sind voll von Zeichnungen ein- und desselben Objekts aus verschiedenen Perspektiven. Erst gemeinsam scheinen sie für diesen Renaissancekünstler und Wissenschaftler die Objekt zutreffend abzubilden. Der Betrachter muß sie im Geiste zusammensetzen und sich aus dieser Synthese ein komplettes Bild eines Körpers zu formen.
Abb.: Leonardo da Vincis mehrperspektivische Skizzen als Beispiel für mehrdimensionale Beschreibungen und deren Zusammenfügung zu einem 3D-Modell der Wirbel (Cod. Windsor Bl. 139v)
Erst wenn der Gegenstand, aus drei verschiedenen Perspektiven beschrieben und die Ergebnisse zu drei Dimensionen zusammengefügt sind, gilt die Beschreibung und damit die Kenntnis des Objekts als vollständig.
Die perspektivische Wahrnehmungslehre ist ein Praxismodell, jedenfalls kann sie weder auf den Wahrnehmungsakt noch auf Darstellungsakte reduziert werden.
Das Prinzip mehrdimensionaler Beschreibungen hatte schon immer direkte Auswirkungen auf das Verständnis von 'wahren' und richtigen Beschreibungen.
Die Zeit der Relationierung zwischen den Subjekten und den Objekten: Astrologischer Perspektivismus
Die standpunkt- und perspektivenabhängige Erkenntnis ist für die visuelle Wahrnehmung des Menschen evident. Sie ist in den Regelbüchern vieler Renaissancemaler und -architekten bis in alle Feinheiten beschrieben. Schon schwieriger wird das Modell in Bezug auf andere Sinne: Welche Standpunkte und Perspektiven nehmen wir beim Schmecken und Riechen ein? Gehen wir dann zum Denken, dem Systematisieren und Klassifizieren über, ist die Aussage zunächst nichts mehr als ein Bild, eine Metapher. Orte im geographischen Raum können kaum gemeint sein. Nehmen wir andererseits einen Denkraum an, so bedarf es theoretischer Modellierung, mindestens der Bestimmung der Parameter dieses Raumes und der Erklärung, wie die visuelle Perspektive zu übersetzen ist, wenn wir den Denkraum betreten.
Hinzu kommt ein weiteres Problem, welches schon den Anwendern perspektivische Erkenntnis- und Konstruktionsprinzipien im 16. Jahrhundert aufgefallen ist: Die Wahrnehmung braucht Zeit, sowohl der Betrachter als auch seine Objekte altern und d.h., sie verändern sich. Die zu beschreibenden Pflanzen etwa welken, das Modell eines Malers verändern seinen Ausdruck, seine Position während des Porträtierens. Perspektive und Standpunkt besitzen demnach neben der räumlichen auch eine zeitliche Dimension. Diese Dimension verlangt ebenfalls eine Explikation im Modell der standpunkt- und perspektivengebunden Erkenntnis.
Noch komplexer werden die Verhältnisse, wenn das Objekt der Praxis aus mehreren Faktoren und damit auch aus deren Verhältnis zueinander besteht. Der paradigmatische, historisch frühe Fall ist hier die Astrologie und Astronomie. Sie hat für das Verhältnis der Sterne zueinander den Begriff der Konjunktion gefunden. Er drückt aus, daß diese Relation Veränderungen in der Zeit unterliegt. Außerdem berücksichtigt die Astrologie auch Zeit und Ort der Betrachtung: Am 25. Juni 1949 um 9 Uhr von Hannover aus gesehen, stellt sich der Sternenhimmel anders dar als am 19. Dezember 1926 in Hannoversch-Münden. Und nur unter den gleichen zeiträumlichen Koordinaten stellen sich die gleichen Sternbilder ein. Es handelt sich hier also um eine erfreulich komplexe, dynamische, empirisch überprüfbare Erkenntnistheorie. Was die Attraktivität der Astrologie jenseits von deren weitergehenden Bedeutungszuschreibungen über die Jahrtausende verständlich macht.
Der astrologische Perspektivismus ist ein Standpunkt/Orte und Perspektiven berücksichtigendes Erkennungsmodell, welches Raum und Zeit sowohl in Hinblick auf die Objekte und deren Relationen als auch im Hinblick auf das Verhältnis der Subjekte (Beobachter) zu den Objekten erfaßt.
Er setzt voraus, daß die Objekte mehrere → Dimensionen besitzen und er ermöglicht → Triangulationen.
Perspektivismus gibt es nicht nur im Wahrnehmen sondern ebenso im Denken und Handeln. Im Handeln spricht an lieber von Pragmatismus oder genauer von einer perspektivischen Komplexitätsreduktion.
Die Triangulation der Perspektiven und Dimensionen
Alle mehrdimensionalen Objekte erfordern im Handeln, Wahrnehmen und Denken im Prinzip Standpunkt- und Perspektivenwechsel, um die Dimensionen und deren Beziehungen mitzubedenken und mitzubehandeln. Diese Kombination der Perspektiven und Standpunkte kann man, wenn man sich denn am Ende mit dreien begnügt, Triangulation nennen.
3D-Modelle erzwingen von den Subjekten Triangulationen.
Triangulationen können auch in den Naturwissenschaften vorgenommen werden. "Triangulation means explicitly choosing analytical approaches that depend on different assumptions", schreiben Marcus R. Munafò and George Davey Smith und geben folgendes Beispiel: "Triangulation usually requires input from multiple methodologies or disciplines. An elegant historical example is continental drift. In the early 1900s, geophysicist Alfred Wegener noticed that the shape of the west coast of Africa seems to fit that of the east coast of South America. He sought evidence to support the continental-drift theory from a wide range of sources, such as palaeontology (fossils from the same period appeared on both continents) and geology (glacier markings indicated that the continents were once close)." (Replication is not enough, in: Nature, Vol. 553, 23 January 2018, p. 401)
In den Sozialwissenschaften wird oft zwischen Datentriangulation, Forschertriangulation, Theorietriangulation und Methodentriangulation. unterschieden. Vgl. Norman K. Denzin: 1970, sowie Uwe Flick 2008.
Unter Triangulation versteht das NTD genau diese Nutzung von drei Fragestellungen, Wahrnehmungsperspektiven und Handlungszielen beim Umgang mit einem Objekt. Zwingend ist es dabei, die drei Dimensionen auf das Objekt miteinander zu verknüpfen. Immer sind in der Triangulation die Standpunkte des Subjekts zu wechseln, meist rotiert man zwischen ihnen.