Axiomatik



Die Dynamiken der Praxis

Die Zeit der Praxis ist komplex. Sie ist eine Komposition aus Komponenten. Sie hat artverschiedene Qualitäten und sie läßt sie quantitativ bestimmen, messen.


Praktiken

Komplexität der Prozesse und Prozeßtypen

Es gilt auch für die Zeit der Praxis die Komponententriade, nach der Elemente, Beziehungen und Ebenen zu unterscheiden sind. Als Elemente treten in dieser Dimension Ereignisse, als Beziehungen die Prozesse und als Ebenen Prozeßtypen auf.

Die Zeit erscheint in der Praxis als Konglomerat von artverschiedenen Prozessen, die mit-, neben- und gegeneinander ablaufen. Das NTD unterscheidet drei Dimensionen der Prozesse: Prozeßgeschwindigkeit, Prozeßrichtung und Prozeßdauer. → Prozesse

Jede Praxis muß viele artgleiche und artverschiedene Prozesse gestalten und hat insofern eine temporale (meist als ‚dynamische‘ bezeichnete) Dimension. Steuerung und Regelung der Abläufe, die Rangordnung der Prozesse und die Gestaltung ihrer Beziehungen ist immer ein Problem, welches jeder konkreten Praxis eine bestimmte Qualität gibt.

Der Ablauf jeder Praxis ist immer das Ergebnis des Zusammenwirkens mehrerer Prozesse und Prozeßtypen, die nebeneinander herlaufen oder mit- und gegeneinander arbeiten!

Das NTD legt sich nicht auf eine einzige und auch nicht auf drei Beschreibungen fest. Aber es fordert dazu auf, die Auswahl für jeden konkreten Fall auf genau drei zu erweitern bzw. zu begrenzen. Damit ist einerseits garantiert, das Wechselwirkungen berücksichtigt werden können, andererseits die Daten und Programme überschaubar bleiben. Eine Beschränkung auf zwei Prozesse bzw. Faktoren wird abgelehnt, weil damit nur ein Typus einer Wechselwirkung/Interaktion erfaßt werden kann.
Es gilt die Grundannahme:
Die Dynamik der Praxis beruht sowohl auf dem Zusammentreffen von mehreren Prozessen/bzw. Faktoren als auch auf dem Zusammenspiel unterschiedlicher Typen von Wechselwirkungen bzw. Relationen!

Prozesse, triadisch verstehen

Prozeßtypen

In der Praxis werden immer unterschiedliche Prozeßtypen miteinander verknüpft und gegeneinander abgegrenzt. Charakteristisch für das NTD ist die Unterscheidung von drei abstrakten Typen von Prozessen, denen auch ein je unterschiedliches Verständnis von Zeit entspricht: als linearer Prozeß der sich in Phasen teilen läßt, als zirkulärer Prozeß/Kette von Rückkoppelungsschleifen und als Parallelprozeß. Letztere Vorstellung resultiert aus der Überzeugung, daß gleichzeitige Prozesse nebeneinander herlaufen können, eigene Zeitstrukturen besitzen, ohne sich zu berühren.

Es gilt die Regel: Verstehe die menschliche Praxis und die Dynamik kultureller Systeme als emergentes Produkt des Zusammenwirkens linearer, paralleler und rückkoppelnder/zirkulärer Prozeßtypen!
Diese obligatorische Prozeß- und Zeitvorstellung wird auch als kybernetische Prozeßtypentriade beschrieben.
Prozeßtypen

Die TriPrax empfiehlt bei Linearprozessen grundsätzlich nur drei Phasen zu berücksichtigen. Diese Generalphasen lassen sich bei Bedarf weiter (triadisch) differenzieren.
Bei allen (linearen) Prozessen in der Praxis können drei Generalphasen unterschieden werden:
-Konstitutionsphase zur Schaffung der Voraussetzung,
-Funktionserfüllung,
-Auflösung und Ergebnissicherung.

Es ist üblich und auch in vielen Kontexten sinnvoll, die menschliche Praxis als linearen Prozeß zu beschreiben: Zuerst Wahrnehmen, dann Speichern und Verarbeiten (Denken) und schließlich Handeln, letzteres angeleitet durch die gewonnenen Informationen. Weniger üblich, aber nicht minder zutreffend, ist die Beschreibung der Praxis als rekursiver Prozeß. Jedes Handeln, auch das eigene Sprechen wird beobachtet und mit Intentionen verglichen, die menschliche Praxis ist ein sich immer wieder schließender Rückkopplungskreislauf. Noch weniger üblich war es lange Zeit, den parallelen Charakter der menschlichen und kulturellen Praxis zu sehen: Der Mensch ist ein massiv parallel arbeitendes System, der viele Prozesse und Prozeßtypen gleichzeitig bewältigt.
Alle drei Sichtweisen haben ihre Berechtigung und nur zusammengenommen können sie einigermaßen befriedigend die Dynamik menschlicher Praxis beschreiben.

Prozesse jenseits aller Praxis interessieren die TriPrax nicht. Hier gelten dann andere Regeln.

Je nach der konkreten Praxis, deren Prozeß linear beschrieben bzw. gestaltet werden soll, lassen sich die Phasen präzisieren und aussagekräftige Namen für sie finden. Immer geht es darum, die in Frage stehenden Prozesse aus dem Konglomerat der mannigfaltigen Prozesse der Welt herauszulösen - und sie am Ende wieder einzupassen, sie anzuschließen oder mindestens, sie anschlußfähig an andere Prozesse zu machen.

Die drei Arten von Dynamik

Alle drei Komponenten der Praxis, die Menschen als Praktiker, das Interaktionssystem und die Praxis als Teil des Kosmos haben ihre eigene Qualität, eine eigene Dynamik, eine eigene Zeit und erzeugen spezifische Prozesse. TriPrax und NTD unterscheiden also drei Arten von Dynamik, die erst zusammen die Dynamik einer Praxis ausmachen:

  • Eine Dynamik ergibt sich aus der Interaktion der Menschen mit Teilen des Kosmos/der Vorstellungswelt, der Notwendigkeit, Verbindungen herzustellen und diese schließlich zu Systemen zu stabilisieren. (Konnektiv-systemische Dynamik oder Interaktionsdynamik)

  • Als Teil der Welt wandelt sich die Praxis, wie alle anderen Komponenten der Welt auch, und transformiert gleichzeitig und unabweisbar ihre Umwelt. (Kosmologische Dynamik)

  • Aus der selektiven Aktivierung der Praktiken ergibt sich eine dritte, weitere Art von Dynamik, die Dynamik der Praktiken und Aktivitäten der Praktiker.(Anthropologisch-praxeologische Dynamik)

    Wandel, Interaktion und die Aktivitäten der Praktiker bilden die Trias der dynamischen Dimension der Praxis. Transformieren, Interagieren und Aktivieren der Praktiken (Praktizieren) sind permanente Probleme der Praxis. Alle drei Dynamiken erzeugen qualitativ verschiedenartige Prozesse, die gegen-, neben- und miteinander wirken.

Interaktion, Architektur- und Systemgestaltung

Es ist zwischen der Dynamik der Praxis und der Dynamik in den Praxissystemen zu unterscheiden

Die Praxissysteme sind nur ein Faktor der Urtriade, der Verbindungsfaktor, neben den Praktikern und dem Kosmos/der Vorstellungswelt.
Jede Praxis stellt funktionale Beziehungen zwischen den konstitutiven Faktoren, also in der individuellen Praxis zwischen Subjekten und Objekten, her. Interaktion ist ein permanentes Problem jeder Praxis.

Da die Praxis ihre Funktionen nur gut erfüllen kann, wenn sie ihre Komplexität begrenzt ist die Systembildung ein permanentes Problem jeder Praxis. Aus dem dreidimensionalen Standardmodell der Praxis ergeben sich für die Praktiker drei permanente Hauptprobleme, die die Dynamik jeder Praxis mitbestimmen:

a) endliche Architekturen erzeugen,

Stabile Architekturen müssen hergestellt, für eine immer nur begrenzte Zeit aufrechterhalten und schließlich aufgelöst werden. Es gilt das Phasenmodel der Praxis: Aufbau/Konstitution, Durchführung, Auflösung. Nur in der Durchführungsphase steht die systemische Architektur der Praxis im Vordergrund.

b) die Beziehungen zur Umwelt gestalten und

Jede Praxis ist ein Ding in einer Umwelt von anderen Dingen und muß sich und seine Grenzen erhalten und die Beziehungen zur Umwelt gestalten. (System-Umwelt-Beziehungen, S-U-B Dimension) Sie erhält Ressourcen und erbringt Leistungen für Objekte jenseits ihrer eigenen Grenzen - und für sich selbst. Die Grenzen werden kontrolliert, Input/Import und Output/Export reguliert. Mindestens steht die Grenzgestaltung vor folgenden Problemen:

  • Ressourcen Beschaffen /Input
  • Leistungen für die Umwelt Erbringen/Output
  • Krisen/Noise bewältigen
    Erosionen der Grenzen können durch Anpassungen (Assimilation oder Akkommodieren) oder Schließungen aufgehalten werden. Es gilt die Triade der Grenzgestaltung: Grenzziehung, Grenzsicherung, Grenzübergänge Öffnen/Schließen.

c) die Abläufe terminieren und ordnen.


Jede Praxis funktioniert als kybernetischer Steuerungs- und Regelungsprozeß. Sie muß ihre Zeit terminieren. Erst dadurch gelangt sie zu gestaltbaren Prozessen, kann Phasen einteilen, Geschwindigkeiten festlegen und notfalls den Ablauf beschleunigen oder verlangsamen. Jede habitualisierte oder sozial oder kulturell normierte Praxisart entwickelt Normalformen dieses Ablaufs, an der sich sowohl die Beteiligten als auch Außenstehende orientieren können. Oder anders: Üblicherweise läuft jede Praxis in der Zeit geordnet, entweder durch Erfahrung und Gewohnheit der Individuen oder durch soziale und kulturelle Normalformerwartungen ab.

Diese permanenten Probleme geben den Praxissystemen Dimensionen. Die Dimensionen müssen in jeder Praxis gestaltet werden. Die Aufgaben lassen sich als Triadentrias darstellen.

Bildname

Jede TriPrax geht von Werten/Grundannahmen als Steuerungsgrößen aus, nutzt Programme/Modelle und beruht auf Erfahrungen, auf Daten, die mehr oder weniger gut intersubjektiv überprüfbar sind. Informationstypen


Aus kybernetischer Sicht versteht sich die Notwendigkeit der Annahme von Werten von selbst: jeder Regelkreis braucht Richtwerte, um sich steuern zu können. Wenn die Heizungstemperatur auf 20° gestellt ist, dann oszilliert sie um diesen Wert – wenn die Regelungsprozesse funktionieren. Ohne Steuerungsgröße, ohne Wertangabe keine Regelung. Ebenso braucht die Praxis als selbstregulierender zirkulärer Prozeß Richtwerte – neben den Daten und den Regelungsprogrammen.

Wandel der Welt und der Praxis

Als Teil der Welt befindet sich jede Praxis im Wandel und hat eine dynamische Dimension.
Sie existiert wie alle Teile in der Zeit und verbraucht Zeit.
Die Welt, und die Praxis als eine ihrer elementaren Komponenten, befinden sich immer im Wandel.
Das ist ein Grundaxiom des NTD, aus dem folgt, daß die Gestaltung des Wandels eine beständige Aufgabe der Praktiker ist. Grundsätzlich hat er drei Möglichkeiten mit Wandlungsprozessen umzugehen: Er kann versuchen, sie zu verlangsamen und Qualitäten, Quantitäten und Architekturen zu konservieren. Er kann die Prozesse reformieren, indem er einzelne Merkmale und vor allem Quantitäten verändert und einzelne Komponenten austauscht. Die radikale Variante ist, daß er die Transformationsprozesse (zer)stört und alternative, neue implementiert.
Es gilt die Wandeltriade: Konservieren, Reformieren, Revolutionieren - deren Faktoren je nach den Prozeßtypen bzw. den Objekten der Transformation spezifisch zu beschreiben und zu benennen sind. Immer wirken in der Praxis alle drei Faktoren zusammen, aber in unterschiedlicher Gewichtung. Die Metamorphosen sind mehr oder weniger vollständig. Es gibt für den Triadiker weder vollständige Zerstörung oder Erneuerung noch vollständigen Stillstand.
Der vollständige Stopp des Wandelns der Dinge, Prozesse und Räume der Welt, auch z.B. des Klimas, ist für den Triadiker eine apokalyptische Vorstellung: der Stillstand der Welt, das Ende der Evolution, der jüngste Tag.

Praktiken

Die Gestaltung des Wandels als Transformation von Raum, Dingen und Zeit

  • Jede Praxis bewegt sich in Räumen und stellt Beziehungen her. Sie ist Interaktion im Raum. Die Gestaltung der Räume und der Interaktion der Elemente in diesen führt zu Architekturen, Sozialstrukturen, Gruppen usf. Die Koordinatenräume lassen sich als Organigrammen darstellen.
    Es geht hier sowohl um die physikalischen als auch um die sozialen Räume bzw. Felder. Alle Soziogramme sind auf Räume angewiesen.

  • Die Gestaltung der Zeitdimension wird als Prozeßmanagement und Ablauforganisation begriffen.

    Jede Praxis hat eine zeitliche Ausdehnung und Zeitmanagement ist deshalb ein permanentes Problem, daß die Praktiker zu lösbaren Aufgaben dekomponieren müssen.
    Es werden drei Formen der Zeit in der Praxis unterschieden: die Objektzeit der Dinge, die Verlaufszeit der Prozesse und der chronologische, durch skalierte Koordinaten normierte Zeitraum. Immer ist zu berücksichtigen, daß die Objekte und Subjekte der Praxis ihre eigene Verfallszeit haben, sie altern mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten.
    In jedem Zeitplan werden die Meilensteine einer Zeitkoordinate zugeordnet, meist dem Kalender oder der Uhrzeit.
    Je nach den Klassen der Praxis besitzt die Zeit unterschiedliche Qualitäten. Die Prozesse, die im Individuum ablaufen können mit den sozialen Prozesse in Konflikt geraten und die kulturelle Praxis muß sich beständig mit den Zyklen in der Natur und der technischen Arsenale auseinandersetzen.

  • Jede Praxis transformiert Dinge in allen drei Emergenzformen und betreibt Produktmanagement. Meist wird sie als Arbeit und diese als Produktion, Distribution (Transferieren) und Konsumption beschrieben. Was immer die Produktion sonst noch sein mag, sie ist immer ein Stoffwechselprozeß, eine Transformation der Dinge in allen ihren Emergenzformen in Raum und Zeit.
    Die Mannigfaltigkeit der Transformationen wird auf genau drei reduziert: Transformation von Materie (Stoffwechsel, Produktion), von Information (Informationsverarbeitung) und von Energie, wobei letztere hier meist als Bewegungsenergie (kinetische Energie) verstanden wird.

    • Jede Praxis transformiert Materie und produziert materielle Produkte
      Es gilt die Regel: Behandele die Praxis als materielle Produktion!

    • Jede Praxis verarbeitet Informationen.
      Es gilt die Regel: Behandele die Praxis als Informationsverarbeitung! Informationsverarbeitung ist ein Spezialfall von Transformation.

      Wenn wir als Beispiel die Informative Dimension der Dinge nehmen:
      Durch die Wahrnehmung werden die Phänomene zu Daten,
      durch das Denken die Daten zu Modellen und Programmen und
      im Handeln setzen die Modelle und Programme die Dinge in Raum und Zeit in Bewegungen.

    • Jede Praxis verbraucht Energien und erzeugt andere, transformiert also Energien, z.B. kinetische Energie in Wärme. Es gibt viele Formen von Energie: potentielle, kinetische, elektrische, chemische, thermische und weitere. Immer wirken in der Praxis mehrere zusammen.

Die Emergenzformen der Dinge determinieren sich, wie alle Faktoren einer Triade wechselseitig.
Alle Information ist an Materie gebunden und wird durch Energien erzeugt und erhalten. Es ist keine Metamorphose in der Natur ohne die Nutzung von Energien vorstellbar. Jede Materie befindet sich in Bewegung und ändert ihre informativen Merkmale. Informations- und materielose Energien interessieren keinen triadischen Praktiker.

  • Die drei Hauptformen der Emergenz der Dinge lassen sich weiter untergliedern.
    Immer finden alle drei Transformationen statt aber in jeder konkreten Praxis in unterschiedlichen Verhältnissen. Jede Praxis stellt eine Rangordnung zwischen den Emergenzformen der Dinge her.
    Die verschiedenen Transformation lassen sich in einer Triadentrias darstellen.

  • Auch die Praktiken können als Transformatoren und das Wahrnehmen, Denken und Handeln als Transformieren verstanden werden. Bestimmte Eigenschaften von Objekte werden in der Praxis durch die Praktiken in andere Eigenschaften transformiert.
axiomatik, id104, letzte Änderung: 2023-07-28 17:12:22

© 2024 Prof. Dr. phil. habil. Michael Giesecke